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Das Leben schreiben. Medientechnologie und die Wissenschaften vom Leben (1800-1900)

Forschungsgruppe der Fakultät Medien, Bauhaus Universität Weimar

Die heutige Biopolitik verleiht der Diskussion über die Ordnung des Lebens eine Aktualität, die zugleich ihre Geschichte ins Spiel bringt. Die Forschungsgruppe "Das Leben schreiben" geht davon aus, dass die Erklärung, Kritik und Steuerung des biotechnologischen Zusammenhangs eine interdisziplinär breit angelegte wissenschaftshistorische und medienwissenschaftliche Forschung voraussetzt. Denn erst eine solche Herangehensweise macht sichtbar, dass die Gewinnung eines neuen Wissens vom Leben mit dessen Darstellung und Vermittlung untrennbar verbunden ist. Medien erzeugen ein Wissen vom Leben - wie umgekehrt die Wissenschaften vom Leben einen Wandel der Medien hervortreiben.

In bis dahin unerhörter Vielfalt wird "das Leben" im 19. Jahrhundert zum Gegenstand des Schreibens und buchstäblich zum Schreiber in spezifischen Aufzeichnungsformen, ohne daß sich eine einheitliche disziplinäre Zuordnung herausbildet. Vielmehr bemächtigen sich Künste und Geisteswissenschaften wie auch Natur- und Sozialwissenschaften gleichermaßen des Phänomens "Leben". Entwicklungs- und Evolutionstheorien überführen es seiner Geschichtlichkeit, während im Verständnis der menschlichen Geschichte deren biologische Voraussetzungen in den Vordergrund rücken. Und gerade weil Kunst, Wissenschaft und Technik stets von neuem die Geschichtlichkeit des Lebens wirkungsvoll entziffern, treten dabei die historischen und medialen Prägungen dieser Wissensfelder selbst hervor.

Das Forschungsprojekt setzt bei der Beobachtung ein, dass Wissen nicht als authentische Abbildung von Sachverhalten zu begreifen ist. Deshalb zielt die Arbeit der Gruppe darauf, das Wissen vom Leben mit spezifischen historisch situierten Praktiken, Experimentalsystemen, Sprachstrukturen, Schrift- und Bildtechniken ins Verhältnis zu setzen. Im Fokus der Forschungen stehen dabei die diskursiven und medialen Produktionsbedingungen biologischer Wissensformationen im 19. Jahrhundert sowie die aus ihnen resultierenden symbolischen Ordnungen und soziopolitischen Effekte.

Zeichen / Organ

Im Zentrum der Wissenskonstellationen, die sich ab 1800 als Lebenswissenschaften formieren, steht die Frage nach den Zeichen des Lebens im Körper. Der Blick auf das "Leben selbst" bringt dabei ab 1800 vor allem unsichere Zeichen hervor und generiert so ein Wissen, das sich immer wieder verändert. Diese Variabilität ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass Wissen in einem Netz von sich entwickelnden Beobachtungsweisen, Aufzeichnungstechniken, Laborpraktiken und Ordnungsprinzipien produziert wird, die sich jeweils neu konstellieren.

Eine entscheidende Vermittlungszone dieser Strategien ist die Grenze von Instrument und Körper. Hier ist das Projekt des Wissenschaftshistorikers und Leiters der Gruppe, Cornelius Borck, unter dem Titel "Metamorphosen des Körpers zwischen Instrument und Apparat" situiert. In drei historischen Schnitten entlang der Achsen 1800, Jahrhundertmitte und 1900 untersucht dieses Projekt, wie sich die verändernden Konstellationen von Apparaten, Instrumenten und Organismen in elektrotechnische Körperkonzepte und organologische Technikmodelle eingeschrieben haben.

Die Kunstwissenschaftlerin Claudia Blümle beobachtet in ihrer Dissertation "Lebens/Zeichen. Bildtechniken im Feld von Physiologie, Psychiatrie und Kunst (1800-1840)", inwiefern im psychiatrischen und künstlerischen Kontext mit physiologischen Bildformationen experimentiert wurde, die bereits vor der Erfindung der Fotografie das Leben selbst abzubilden versuchten. Neben der Nähe zum Zeichen jenseits der Bedeutung taucht gleichzeitig die Logik einer normgenerierenden Serie auf, die nun parallel zur Ordnung der Sammlung in Umlauf kommt.

Phantasma / Disziplin

Die ab 1800 entstehenden Disziplinen über das Leben entwickeln Strategien, Lebenszeichen trotz ihrer Vergänglichkeit aufzuzeichnen und als ein Beharren unter fortwährendem Wandel festzuhalten. Dieser bio-technologische Zusammenhang generiert nicht nur spezifische Konzepte des Lebens, sondern gebiert auch seine eigenen Phantasmen. Gerade die galvanischen bzw. elektrischen Experimente führen zu einer tiefen Verunsicherung über die Grenzen zwischen Tod und Leben.

Als Symptom dieser Verstörung können die "Aufschreibweisen des Vampirischen um 1800"gelesen werden, mit denen sich die Dissertation der Germanistin Anja Lauper befasst. Darin geht es um die spezifische Schrift untoten Lebens, die sich der neuen Schrift des Lebens gleichsam als deren rückwärtige Kehrseite einschreibt.

Den Zusammenhang einer Geschichte des Individuums und jener der Gattung nimmt der Germanist und Kulturwissenschaftler Armin Schäfer in seinem Projekt "... und das Wort ist Fleisch geworden. Untersuchungen zur Biologie des Geistes im 19. Jahrhundert" in den Blick. Ausgehend von der Frage nach der Entstehung, Konzeption und sozialen Akzeptanz eines Reiz-Reaktionsmodells, mittels dessen das Leben von Einzelnem und Gattung durchformt, kontrolliert und verbessert werden sollte, geht es in dieser Arbeit um das Verhältnis von Physiologie und Evolutionstheorien.

Historizität / Transformation

Mit dem Verhältnis von Leben und Tod hat es schliesslich auch die Historie zu tun, wenn sie mit dem Historismus des 19. Jahrhundert im Medium der Archive und Dokumente versucht, das "Leben" vergangener Epochen zu beschreiben. Der Historiker Alessandro Barberi, stellt sich in seiner Dissertation Nietzsche - Freud - Saussure. Transformationen des Historischen um 1900 der Frage, inwiefern im Diskursverbund dieser drei Autorfunktionen eine historische, epistemologische und medienwissenschaftliche Transformation des Historischen lesbar wird. Dabei werden auch die Wissensspeicher der Physik, der Physiologie und der Neurologie berücksichtigt.

Vernetzungen

Die Nachwuchsforschergruppe "Das Leben schreiben" kooperiert mit dem Forschungsprojekt "Die Experimentalisierung des Lebens: Konfigurationen zwischen Wissenschaft, Kunst und Technik", das von der Stiftung Volkswagenwerk am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin gefördert wird, und mit dem Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik an der Humboldt Universität zu Berlin. Weitere Kooperationen z.B. mit dem Program in History and Philosophy of Science der Stanford University, Kalifornien, sowie der Abteilung Technikgeschichte der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich sind im Aufbau.

Zur Arbeit der Forschungsgruppe gehören sowohl regelmäßige Lehrveranstaltungen, Kolloquien und Workshops an der Fakultät Medien der Bauhaus-Universität Weimar als auch die Präsentation der Forschungsergebnisse in Publikationen und auf internationalen Tagungen.